Die Demokratie kann ganz schön bitter sein

Satte 62 Prozent haben heute an der Urne Ja zur definitiven Einführung eines digitalen Überwachungszertifikates eingelegt. Und nein, diese “Umfrage” ist nicht gefälscht. Sie wurde vielleicht mehr oder minder “beeinflusst” durch jene, welche die Macht innehaben. Es könnte jetzt die Diskussion losgetreten werden, ob unter einer solchen Prämisse noch eine lebendige Demokratie stattfinden kann. Doch seien wir ehrlich, Demokratie war auch in der Vergangenheit kaum je eine Gutfühl- und Respekt-Oase. Am Ende einer Abstimmung gilt es das Resultat zu akzeptieren. Auch oder gerade, wenn es schmerzt.

Privatsphäre dahin, dafür Diskriminierung

Ich habe die letzten zwei Monate kein Restaurant, keine Bibliothek, kein Hallenbad, keine Veranstaltung, kein Kino, einfach keinen Ort, wo das Zertifikat verlangt wird, besucht. Auch auf Reisen habe und werde ich wohl in Zukunft verzichten müssen. Ich höre das Echo, ich müsste ja nur testen oder piksen und entgegne dem leise aber bestimmt: Warum sollte ich beweisen müssen, dass ich gesund bin? Für mich war die Impfung, das Testen, aber nicht das zentrale Element. Für mich war/ist das Zertifikat ein absolutes No-Go, denn die Privatsphäre ist dahin und die Zweiklassengesellschaft mit Diskriminierung wird zementiert. Und ich glaube nicht, dass ich mich in Zukunft je für ein derartiges Medizinal-Überwachungssystem begeistern werde können.

Wir werden sehen, ob jene, die jetzt ein Ja einlegten, irgendwann realisieren werden, was ein solches Regime für unser tägliches Leben bedeuten wird. Sollte dies alles “nur” für 18 Monate (es darf auch weniger sein) zum Einsatz kommen, so lasse ich mich mit Freude eines Besseren belehren. Aber ich befürchte eher, wir werden das Zertifikat für sehr lange Zeit, vielleicht auch nie mehr los. Eine leise Hoffnung besteht noch im Covid-Gesetz selber, weil dieses ja gerade nicht den Anwendungsbereich festlegt, sondern dem Bundesrat nur die Befugnis gibt, die technischen Grundlagen festzulegen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Ich gebe aber zu, dass ich heute nicht sehr optimistisch bin, mit dem Gang über die Justiz eine Entwicklung stoppen zu können, die innert knapp zweier Jahre längst derart tief den Alltag bestimmt. Vielmehr werde ich mich eher darauf einstellen müssen, dass es leider noch viel schlimmer kommen kann. Ich sträube mich zwar dagegen, mir darüber Gedanken zu machen. Letztlich wird mir nichts anderes übrigbleiben, als es zu erdulden.

Die Hoffnung allerdings, dass es nicht doch irgendwann wieder besser kommen könnte, diese lasse ich mir nicht nehmen. Und ich möchte an jene, die heute Ja gestimmt haben, appellieren, sich unabhängig von Covid darüber Gedanken zu machen, wohin wir mit einen solchen Überwachungssystem hinsteuern? Das Argument, die Internet-Giganten machten dies alles ja auch, und wir würden denen viel mehr Daten preisgeben, gilt nicht. Zwar war es zeitweise schwierig, ohne die quasi aufgezwungenen Dienste ein Smartphone zu nutzen. Doch der Einsatz war ja nie zwingend und es gab immer auch Alternativen. Das ist bei einem staatlichen Überwachungszertifikat anders.

Jeden Monat gibt es gute 2.5 Millionen

Schon heute ist es beim Covid-Zertifikat schwierig, sehr schwierig, ein “normales” Leben zu führen. Aber immerhin, seit 139 Tagen, dem 12. Juli 2021 habe ich es bisher geschafft. Das sind immerhin über 12 Millionen bzw. exakt 12 009 600 Sekunden. Mit anderen Worten, ich bin also bereits mehrfacher Multi-Millionär geworden. Auch wenn ich nie gedacht hätte, dass ich es dereinst — und erst noch gegen meinen Willen — zum Covid-Multimillionär “schaffen” würde, so hoffe ich doch, dass die Schweiz genau wie mit den übrigen “Reichen” milde sein wird. Und noch etwas, jeden weiteren Monat “sammle” ich gute 2.5 Mio neue Covid-Sekunden.

P.S: Auch wenn ich mich mit all diesen Millionen längst zur Ruhe setzen könnte, so darf ich hier und jetzt gerne versichern, ich werde auch in Zukunft dafür einstehen, dass wir wieder zurück zur Normalität kommen können. Auch wenn ich dann all meine Millionen verlieren werde, ich nehme dies gerne in Kauf.

P.S. II: Ich habe im Juni dieses Jahres das Referendum unterstützt, weil bei der Abstimmung im Parlament es an sich um ein Covid-Zertifikat bis Ende 2021 ging und mich darüber geärgert, dass die Redaktionskommission die Geltungsdauer wie von “Geisteshand” bis 31.12.2022 festlegte. Leider kam diese “Problematik”, die ich ein leises Schleifen der demokratischen Regeln nennen würde, nie zur Sprache. Und noch etwas, damals wusste niemand, dass das Zertifikat faktisch überall, bei Arbeit und Ausbildung flächendeckend, zum Einsatz kommen würde. Ich frage mich daher schon, ob jene, die JA stimmten, sich bewusst waren/sind, zu was sie JA sagten.

Update vom 30. November 2021: Zur Problematik Privatsphäre und Covid-Zertifikat/eID sehr empfohlen werden kann die dreiteilige Artikelserie bei re-check.ch mit Teil 1, Teil 2 und Teil 3. Den besten Dank mit einer tiefen Verneigung den beiden Journalistinnen Catherine Riva und Serena Tinari, die am Thema dranblieben und eindrücklich aufzeigen, warum wir heute an diesem Punkt stehen.


Zwischen dem 1. Janaur 2021 und dem 31. März 2022 machte die Schweiz (alleine auf Bundesebende) zur Bewältigung von Covid Schulden über 65370 Millionen bzw. 65.37 Milliarden. Dies entspricht dem Erwerb von neuen Kampfflugzeugen gemäss Abstimmung Sommer 2020. Quelle: Covid-Schulden Bund